21.05.2016 - www.kulturvision-aktuell.de/die-fragile-tastatur-der-melancholie


Die fragile Tastatur der Melancholie

Von Ines Wagner


Pianistin Masako Ohta und Schauspieler Stefan Merki am Tannerhof. Foto: Ines Wagner



Eine musikalische Erzählung in Bayrischzell
Wer kennt sie nicht, die Nocturnes von Frédérik Chopin, oder seine berühmten Prelúdes? Einige dieser vielschichtigen, oft schwermütigen Charakterstücke entstanden auf Mallorca, während Chopins Winteraufenthalt gemeinsam mit George Sand und deren Kindern. Mit ihrer kraftvollen Spannung zwischen Melancholie und Leidenschaft dokumentieren diese wunderbaren Klavierstücke eindrucksvoll die Stimmungsbreite von Chopins Œuvre. Sie werden zum Spiegel seines Innersten: „Nur meinem Klavier vertraue ich viel meiner Verzweiflung an“, schrieb er bereits in jungen Jahren angesichts des gescheiterten Aufstandes in seiner Heimat Polen, nachdem er über Wien und Stuttgart nach Paris übergesiedelt war.

Die Euphorie des Augenblicks verdrängte alles Gegensätzliche
Als gefeierter Pianist und Komponist, als Mensch jedoch einsam, sensibel und melancholisch, traf Chopin in einem Pariser Salon auf George Sand. Gegensätzlicher kann man sich ein Paar wohl kaum vorstellen. Die „schriftstellernde Femme Fatal“, die mit großem Erfolg unter männlichem Synonym schrieb und zigarrerauchend in Männerkleidern auftrat, und der zurückhaltende, sechs Jahre jüngere Komponist, der sich aufgrund einer gescheiterten Liebe in einer emotionalen Krise befand. Chopins anfängliche Abneigung gegen die emanzipierte, starke Künstlerin wandelte sich. Er fühlte sich von der enthusiastischen, leidenschaftlich musikliebenden George Sand verstanden. Sie wiederum lernte durch Chopin die Gabe des Zuhörens mit tiefer Hingabe. Aus ihnen wurde ein Liebespaar. Die „Geborgenheit in Freiheit“ war für beide die ideale Lebensweise, die gemeinsame Beziehung allerdings keine einfache.

Stationen einer ungewöhnlichen Beziehung
Mit feinsinnigem Einfühlungsvermögen sowie großer Klarheit und Zartheit spielte die in München lebende Pianistin Masako Ohta gestern am Tannerhof in Bayrischzell Chopins wunderbare Stücke: Préludes, unter ihnen die berühmte Regentropfen-Prélude, verschiedene Nocturnes, Fantaisie und Mazurkas. Selten erlebt man ein Klavierspiel so klar, dicht und berührend. Es ist vor allem die besondere Gabe der Japanerin, sich vollkommen einzuspüren. Die Musik ist in ihr, fließt aus ihr heraus, in aller Leidenschaft und Melancholie Chopins, die auch ihre eigene ist.
Anhand von Texten Gudrun Bouchards, die auf Briefen und Biografien beruhten, erzählte Schauspieler Stefan Merki von den Münchener Kammerspielen einfühlsam die Geschichte der beiden Künstler. In konzentrierter Stille und mit geschlossen Augen bereiste das Publikum die Stationen der ungewöhnlichen Beziehung, wurde Ohrenzeuge der aufbrechenden Leidenschaft, durchlebte den Wandel in eine Platonische Liebe bis hin zu ihrem unausweichlichen Ende.
Das Signal für das Ende einer Beziehung George Sands sei gewesen, wenn sie einen Roman über ihren Geliebte schrieb. Der Roman über ihre Beziehung mit Chopin war so offensichtlich, dass es den Lesern, Freunden und Bekannten peinlich war, Chopin selbst aber nichts davon bemerkte. Die Gegensätzlichkeit beider hatte sich nicht verschmolzen oder aufgelöst. „Seine Seele ist ganz Poesie, ganz Musik, und alles anders geartete kann er nicht ertragen“, urteilt sie. Und ihr Bruch ist scharf, sie ist unnachgiebig in ihrer emanzipierten Autorität. „Zwei Persönlichkeiten – eine Seele?“ Wohl eben nicht ganz. Aber der tiefe, gegenseitige Einfluss beider Künstlerseelen hat der Nachwelt schönste, ungewöhnlichste Kunst beschert, daran besteht kein Zweifel.